Speckstein statt Dealerkarriere

Speckstein statt Dealerkarriere

OBERURSEL Im Kunsttäter-Atelier von Andreas Hett leisten straffällig gewordene Jugendliche ihre Sozialstunden ab.

VON MARTINA DREISBACH  – Frankfurter Neue Presse, Taunuszeitung

Bei den Kunsttätern ist Platz für Kunst und fur Schicksal. Die Kunst scheint die Hauptrolle zu spielen. Sie stürmt in der ehemaligen Autoschlosserei an der Feldbergschule von allen Seiten auf die Besucher des Atelierfests am Sonntag ein. Specksteinarbeiten in lieblichen und kruden Formen und Grünschattierungen. Polierte, raue, klare und merkwürdige Dominosteine. Kugeln, Wol- ken und jede Menge ohne Titel. Handschmeichler. Aber auch gro Be bizarre Objekte, aus deren Mit- te lockige Metallstäbe in alle Richtungen stechen, eine antiquarisch verstaubte Seifenkiste. Das kommt heraus, wenn junge Leute, in deren Leben schon einiges schiefgegangen ist, ihre Sozialstunden bei den Kunsttätern ableisten. Mit Speckstein fängt es

Jetzt duftet es aber auch nach Linsensuppe. Andreas Hetts Frau hat gekocht. Petersilie dazu, ein Tupfer Sahnejoghurt. Die Tische, die sonst Arbeitstische sind, gedeckt. Es ist warm, in einem Monitor läuft eine Szene aus dem Leben der Kunsttäter. Besucher inspizieren dieses außergewöhnliche statt Kunstmuseum.

Ohne Grund ist niemand hier

Vom Schicksal und der schiefen Bahn hatten die bislang etwa 1000 jungen Leute, überwiegend Männer, mehr als genug. Hier heißen sie Kunsttäter“, hier leisten sie Sozialstunden“ ab, dje ihnen die Jugendgerichtshilfe und Bewährungshilfe Frankfurt aufgebrummt haben. Die Dankesworte nach 15 oder vielleicht gar 500 Stunden, was auf drei Jahre hinausläuft, klingen freundschaftlich. Sie richten sich an Andreas Hett, der das Unterfangen Kunsttäter im Jahr 2000 ins Leben gerufen hat. Normalerweise sind wir hier beim Du“, sagt Hett. aber im Hausbuch, das ist jetzt schon das dritte, werde ich dann wieder Herr Hett genannt.“ Das klingt nach Respekt, und Andreas Hett, eine stabile, in sich ruhende Erscheinung, wirkt nicht nur an diesem Sonntag wie ein Fels in der Brandung. Er hält einiges aus und hat schon einiges gehört.

Ohne Grund ist niemand hier. Manche hätten, so Hett, Drogenkarrieren hinter sich, die anfangs verführerisch klängen, aber immer ein schlechtes Ende nähmen. Manch einer hat sich mit den Drogen das Hirn weggebrannt, sagt er. “Manche kommen im Zustand des Entzuges.”

“Nimm mal nen Speckstein, das ist was für dich oder willste lieber den Schweißkurs?“ So etwa geht der Austausch mit den Neuen los. Es gebe aber auch Holz und Metall; die brauchten aber eine höhere Stundenzahl. So schnell geht das mit der Kunst nicht. Derzeit seien drei Leute fast zu Ende gekommen mit ihren Stunden. Ein Absolvent schrieb: „Ich war nur 30 Stunden hier, beste Wahl für die Arbeitsauflage, ich habe so viel gelernt.“ Dass sie etwas gelernt haben“. ist eine beliebte Formulierung. Ein anderer Eintrag mit ironischem Unterton lautet: „Nach rund 50 spaßigen Stunden kann ich mich zur Ruhe setzen.“

Hett erzählt, vielen sei die Zuwendung wichtig. Manche hätten auch enormen Erfolg. “Einer, kurz vorm Knast, hat zwei seiner Objekte verkauft, er war sehr stolz.“ Aber wie viele Gespräche führen wir, damit sie die Finger lassen, vom Dealen.” Eine Skulptur dauerte 60 Stunden, Ein Flugzeug mit eleganten Korpus, das, von einem Stiel gehalten, über eine Welle hinwegfliegt. “Fernweh” heißt es, eine “Wolke” gibt es noch, aber die meisten Objekte fliegen nicht davon. Weil man hier als Mensch wahrgenommen wird.